Michael Korstick
Profil
Fotos: Reinhard Winkler
Michael Korstick ist nicht nur einer der bedeutendsten Beethoven-Interpreten unserer Zeit, sondern auch einer der vielfältigsten Pianisten seiner Generation. Sein Repertoire umfasst über 130 Klavierkonzerte und Solowerke aus allen Stilepochen, darunter den Zyklus sämtlicher Klaviersonaten von Beethoven sowie Gesamtaufführungen der Klavierkonzerte von Beethoven, Brahms, Liszt, Rachmaninow, Bartók und Prokofjew. Korstick unternahm zahlreiche internationale Konzertreisen und arbeitete mit mehr als 100 Orchestern zusammen, darunter viele der besten Klangkörper weltweit. Seine mehr als 60 CD-Einspielungen wurden von der Kritik hochgelobt und viele mit renommierten Preisen ausgezeichnet.
Was Michael Korstick auszeichnet:
„Beethoven ist und bleibt mein musikalischer Fixstern“, sagt Michael Korstick. Seine Einspielung aller 32 Beethoven-Sonaten hat in der Musikwelt für Furore gesorgt. Schon als Zehnjähriger wurde Korstick in sein erstes Beethoven-Konzert mitgenommen, später war die Begegnung mit den Aufnahmen des Pianisten Solomon für den Jugendlichen ein Erweckungserlebnis: stilistisch perfekt, frei von jedem Manierismus, und in der Interpretation so nah wie möglich an dem, was der Komponist niedergeschrieben hat.
Trotz der ungeheuren Fülle und Vielfalt seines Repertoires ist die Auseinandersetzung mit Beethovens Werk für Michael Korstick zentral geblieben. Er erklärt seine Leidenschaft so: „Das ist eine Musik, die genausogut aus mir herausgekommen sein könnte, hätte ich das Glück gehabt, als Komponist etwas zu sagen zu haben – habe ich aber leider nicht. Weder die Fähigkeit, noch das Bedürfnis. Alles was ich möglicherweise hätte zum Ausdruck bringen mögen, gibt es schon von Beethoven. Deshalb ist es meine Mission, ihn in meinem und durch mein Spiel sprechen zu lassen.“
„Warum ich mir neben meiner Leidenschaft für Beethoven ein so riesiges Repertoire erarbeitet habe? Ich glaube, das ist einfach Neugier“, antwortet Michael Korstick. Neugier auf Musik, auf Komponisten, ihre Botschaft, ihre Sprache, ihre Ideen und deren Umsetzung, ihre Herausforderungen und Lösungen.
Neue Stücke zu erarbeiten, ist für Korstick viel mehr Ansporn als Mühe, und auch in Stücken, die er schon sehr oft gespielt hat, findet er immer wieder zu seinem eigenen Staunen immer wieder auch faszinierend Neues. Hier kommt ihm die riesige Bandbreite seines Repertoires zugute: „Wenn ich ein Stück zum 151. Mal mache, dann habe ich mich zwischen den 150 Malen immer mit so vielen anderen Dingen beschäftigt, dass ich, wenn ich wieder an dieses Stück herangehe, mir dann immer wieder neue Dinge auffallen und ich interessante Stellen entdecke, so dass es nicht schal wird, sondern auch beim 151. Mal spannend bleibt.“
„Mir wird gern mal das Attribut angeklebt, mein Spiel habe etwas Extremistisches. Das finde ich gar nicht“, wundert sich Michael Korstick. Was ihn jedoch interessiert an den Stücken ist immer die maximale Bandbreite: wie langsam geht eine langsame Stelle, wie laut ist eine laute möglich?
Korstick lehnt nivellierendes Spiel ab, stattdessen lotet er stets die Grenzen dessen aus, was möglich und sinnvoll ist. Bis wohin kann er gerade noch gehen, damit das Stück stimmig bleibt und im Sinne des Komponisten? „Ich möchte nicht schnelle Sätze einfach so schnell wie möglich spielen, sondern herausfinden, wenn ich das Tempo immer weiter steigere, wo der Punkt kommt, an dem es nicht mehr besser wird, sondern schlechter. Genau dort liegt die Grenze des Stücks, die der Komponist vorgegeben hat, und diese Grenze ist das Optimum.“
„Werktreue hat ja etwas Beamtenhaftes. Als ob man als Interpret abarbeitet, was da steht, und brav jede Anweisung, jedes Komma und jeden Strich referiert. Wenn es so wäre, dann würden alle werktreuen Pianisten genau gleich klingen und tödlich langweilig“, ist sich Michael Korstick sicher.
Stattdessen liegt Werktreue für ihn im Ausloten der Grenzen eines Stücks und zwar in dem Sinn, dass er dem Komponisten zu diesen Grenzen folgt. Das heißt, nicht seine eigene Laune, Stimmung oder Eingabe führen ihn auf diesem Weg zum Extrem, sondern die Überzeugung, dass es in diesem Moment im Stück vom Komponisten genauso und nicht anders gewollt und angelegt ist. „Ich mache das nicht nach dem Motto Regietheater: was erzähle ich jetzt mit Hilfe von Goethe für eine Geschichte. Sondern ich schaue, welche Geschichte hat der Komponisten in seinen Noten versteckt? Und was muss ich tun, um daraus etwas Sinnhaftes zu machen.“
Was Michael Korstick mit Wahrhaftigkeit oder Nachhaltigkeit seines Klavierspiels meint, ist sein Ansporn, möglichst weit den Sinn eines Stücks zu erfassen, so nah an dem, wie ihn der Komponist konzipiert hat. Dafür betreibt er häufig auch Quellenforschung und spielt am liebsten nach den originalen Notenblättern, um das Richtige zu erkennen, zu erfühlen und dann nachschöpferisch in Klang zu verwandeln. „Der Pianist muss erkennen, was aus dem Herzen des Komponisten kommt, bevor er sein Herzblut darauf verwendet“, beschreibt er seinen Ansatz.
Wahrhaftigkeit ist für ihn dann erreicht, wenn man die Interpretation eines Musikstücks immer wieder hören will, nicht weil es repetitiv ist, sondern weil das Spiel einen Wert hat und man sich immer wieder neu damit auseinandersetzen möchte. Das Gegenteil von schnellem Effekt.
„Das höchste Kompliment bekam ich letztes Jahr bei zwei Klavierabenden: der Veranstalter hörte sich wirklich zweimal die wirklich sehr lange B-Dur-Sonate von Franz Schubert an. Ich fragte ihn, warum tun Sie sich das an und setzen sich noch einmal rein. Er antwortet: ich wollte das genauso noch einmal hören und war neugierig, ob ich dann vielleicht noch andere Sachen entdecke, die ich beim ersten Mal so nicht bemerkt habe. Das ist für mich Wahrhaftigkeit.“
Fotos (v.l.): Eric Engel/Philharmonie Luxembourg, Jochen Berger, Reinhard Winkler (2x)